Bernd Goltings


Foto: Roman Schmidt

Bernd Goltings, Jg. 1973, wohnt in Prerow auf dem Darß und ist von Beruf Notfallsanitäter. Seine historischen Interessen richten sich auf die Geschichte der Verkehrswege in unserer Küstenregion, wofür er seit 1999 umfangreiche Archivrecherchen tätigt.

Neben seinen Vorträgen über die Eisenbahn-, Land- und Wasserwege der Region Fischland-Darß-Zingst erfolgte ab 2005 die Herausgabe einer eigenen Schriftenreihe.

Darüber hinaus veröffentlichte er zahlreiche Beiträge zum Thema Heimatgeschichte, Kulturerbe, Schifffahrt und Seenotrettung.

Bernd Goltings ist Mitglied im Reitertonnenbund Prerow e. V. sowie dem Verein zur Förderung der Heimatpflege und des Darßmuseums e. V.

Kulturerbe oder Rendite?


  
  
Im Vorwort der 2019 erschienenen Broschüre „Immaterielles Kulturerbe in Mecklenburg-Vorpommern erleben“, dessen Herausgeber der „Verein zur Förderung der Heimatpflege und des Darß-Museums e. V.“ ist, schreibt die Museumsleiterin Antje Hückstädt: „Überall dort, wo Menschen über mehrere Generationen leben und ihr Wissen und Können weitergeben, ist auch immaterielles Kulturgut zu finden. Oft ist es uns nur nicht bewusst.“ Kulturerbe wird einem also sprichwörtlich in die Wiege gelegt. Vielleicht erscheint es einem gerade deshalb so selbstverständlich.

Beim Betrachten der im Heft befindlichen Übersichtskarte wird schnell deutlich, dass unsere Region darin überdurchschnittlich häufig vertreten ist. Ab einem gewissen Grad an Isolation bleiben die von Bewohnern über Zeiten hinweg entwickelten Besonderheiten oft länger als anderenorts bewahrt. Geografische Insellagen und regionale Identität erweisen sich als Retter und Bewahrer alter Sitten und Bräuche. Kulturelle Ausdrucksformen wie Sprache, Tanz, alte Handwerkstechniken oder gesellschaftliche Bräuche, Feste und Rituale existieren noch heute. Werden sie nicht mehr ausgeübt und von kommenden Generationen am Leben erhalten, gerät kostbares Können und Wissen darüber in Vergessenheit.

Jeden Winter wird es in unseren Orten geisterhaft still. Daran sind nicht die Einwohner schuld, die sich in der dunklen Jahreszeit verständlicherweise lieber in den eigenen vier Wänden aufhalten. Es liegt vielmehr an den massenhaft neugebauten, leerstehenden Häusern. Tagsüber kein Leben, abends kein Licht. Vor gar nicht allzu langer Zeit waren die Straßen durchgehend bewohnt. Man sollte sich bei diesen Neubauten, die ausschließlich zur Vermietung an Urlauber errichtet wurden, fragen, wo das noch hinführt. Haben wir davon nicht schon mehr als genug?

Manche neu gebauten Häuser fügen sich durch ihr Äußeres und ihre Nutzung gut in das Ortsbild ein, es gibt also durchaus auch positive Beispiele für Neubebauung.

Gerade in den letzten Jahren hat das Bautempo jedoch noch einmal schlagartig zugelegt und es lässt sich Schlimmes erahnen.

  
  
Wenn sich jeder in der eigenen Nachbarschaft umschaut, kann er sich schon fast ausmalen, was da in den nächsten Jahren noch so hinzukommt. Etliche weitere Projekte lassen sich mühelos erahnen, wenn sie nicht schon begonnen wurden. Es werden Grundstücke verkauft und dann im großen Stil mit Ferienwohnungen zugebaut.

Und immer geht dabei etwas Unwiederbringliches verloren, im schlimmsten Fall verschwindet wieder ein altes Haus aus dem Ortsbild. Dabei wird der ursprüngliche Charakter der hiesigen Seefahrer- und Fischerdörfer komplett außer Acht gelassen.

Betrachtet man einige der Immobilien, kommt man zweifelsohne zu dem Schluss, dass es sich dabei leider um Investoren handelt, denen es lediglich um eine hohe Rendite geht. Nach dem Motto: Eine schöne Ostsee-Halbinsel mit ein paar hübschen Dörfern und unverbrauchter Natur, in die alljährlich zehntausende Urlauber strömen. Hochgeschätzt – allerdings nur als zukunftsträchtiger Standort für ihre Immobilie.

Wenn man dem Bauboom mal gegenüberstellt, dass z.B. die Einwohnerzahl Prerows rückläufig ist, ist das eine sehr bedenkliche Entwicklung. Während heute Unterkünfte für Urlauber mehr als reichlich zur Verfügung stehen, ist der Wohnungsmarkt für Dauermieter, sprich für Menschen, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben, seit langem angespannt. Bezahlbare Dauerwohnungen sind Mangelware, zudem werden bestehende oft und schnell in Ferienwohnungen umgewandelt. Was für Anleger von Immobilien erfreulich sein mag, trifft die Menschen, die hier leben und arbeiten wollen, voll ins Mark. Vor allem für Familien ist es heutzutage schwer, sich hier anzusiedeln. Wie aber soll ein Erhalt der Bevölkerungsstruktur gelingen, wenn Baugrundstücke purer Luxus werden? Bereits in den letzten zehn Jahren haben sich die Grundstückspreise mehr als verdoppelt und liegen aktuell in Prerow bei über 400 € je Quadratmeter. Unsere Einheimischen werden sich den Darß bei einer solchen Mietentwicklung nicht mehr ewig leisten können. Auch sie sind dann gezwungen, von außerhalb zu ihrem Arbeitsplatz zu pendeln. Fragt sich nur, ob es sich dann für sie noch rechnet. Der Satz: „Auf Sylt wohnen so gut wie keine Sylter mehr…“ ist makaber und traurig zugleich. Parallelen sind vorhanden, nur Sylt hat 30 Jahre Vorsprung. Um den Arbeitskräftemangel in allen Bereichen zu beenden, muss man dem „Sylt-Effekt“ entgegenwirken. Was nützt ein Ort voller Gäste, wenn nicht genug Personal für die touristische Infrastruktur zur Verfügung steht?

  
  
Auch die Dorfgemeinschaft, in der die Nachbarn in ihren Vorgärten miteinander ins Gespräch kommen, wird auf diese Weise allmählich verschwinden.

Viele Kommunen arbeiten bereits an einer „Milieuschutzsatzung“, der sogenannten Erhaltungssatzung. Danach ist die Umnutzung eines bestehenden Wohnhauses in eine Urlauberwohnung nicht mehr ohne Zustimmung der Gemeinde erlaubt. In Prerow wird derzeit eine „Milieuschutzsatzung“ aufgestellt. Damit soll die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung erhalten und der Zuzug jüngerer und mittlerer Altersgruppen gesichert werden. Bestehende Dauerwohnungen werden so geschützt und die Entstehung neuer vorangebracht. Schon um die städtebauliche Gestalt unseres Ortes zu wahren ist mit der Umsetzung dieser Satzung Eile geboten!

Es soll nicht darum gehen, den Einheimischen ihr Ferienhaus oder die Ferienwohnungen als Einnahmequelle zu untersagen. Das Problem ist die zügellose Bebauung der Orte mit Objekten, die innerhalb der Urlaubssaison ihre Rendite erbringen, aber danach lange leer stehen. Und dass in einer Region, in der Wohnraum dringend benötigt wird.

Frühere Generationen dieses schmalen Landstriches gaben neben Haus und Hof oft auch die nicht sichtbaren Dinge ihres Lebens an den Nachwuchs weiter. Darunter eben auch vieles von dem, was wir heute „Immaterielles Kulturerbe“ nennen. Auf solch ein Erbe können wir stolz sein! Sorgen wir dafür, dass Einheimische sich weiterhin zuhause fühlen und auch unsere Nachkommen zukünftig hierbleiben können. Setzen wir alles daran, dass unser Kulturerbe weiterlebt!

Es wäre mehr als schade, wenn man eines Tages nur noch in alten Geschichten darüber lesen kann, oder alle Reiter vom Festland aus zum Tonnenabschlagen in ein von Ferienwohnungen und Ferienhäusern ausgehöhltes Küstendorf anreisen müssen.

Bernd Goltings
  
  
zu den Abbildungen:

  • Prerow 1958 – Jung und Alt gemeinsam unter der Tonne.
  • Die Broschüre aus dem Jahr 2019 fasst das Immaterielle Kulturerbe unseres Bundeslandes anschaulich zusammen.
  • Das Tonnenabschlagen auf Fischland-Darß wurde 2016 in das Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen.

Veröffentlichungen


Unglück vor der Prerower Eisküste im Jahr 1830
In: Stralsunder Hefte für Geschichte, Kultur und Alltag
Stralsund 2022, Septemberausgabe
ISBN: 978-3-95872-081-7

Die Eskapaden des unbelehrbaren Wiecker Schiffers Carl Ehlert
In: LandeBarth – Barther Geschichten, Band 13
Barth/Rostock 2021, 13. Jahrgang
ISBN: 978-3-948188-33-7

Sturmtage in der Prerower Bucht – Die Strandung des Lübecker Dampfers BREDOW
In: Stralsunder Hefte für Geschichte, Kultur und Alltag
Stralsund 2021, Märzausgabe
ISBN: 978-3-95872-072-5

Das Wandern ist nicht immer nur des Müllers Lust
In: LandeBarth – Barther Geschichten, Band 12
Barth/Rostock 2020, 12. Jahrgang
ISBN: 978-3-948188-13-9

Die Strandung der CLARA UND CARL und der Goldschmuck von Hiddensee
In: Stralsunder Hefte für Geschichte, Kultur und Alltag
Stralsund 2020, Septemberausgabe
ISBN: 978-3-95872-071-8

Der Tonnenleger NORDSÖEN – Ein Geisterschiff in der südlichen Ostsee
In: LandeBarth – Barther Geschichten, Band 11
Barth/Rostock 2019, 11. Jahrgang
ISBN: 978-3-948188-03-0

Die Entwicklung der Seenotrettungsstation Kloster auf der Insel Hiddensee
In: Stralsunder Hefte für Geschichte, Kultur und Alltag
Stralsund 2018, 10. Jahrgang – Jubiläumsausgabe
ISBN: 978-3-95872-061-9

Die Strandung des Rahschoners MINNA – Eine Tragödie am Darßer Ort
In: LandeBarth – Barther Geschichten, Band 10
Barth/Rostock 2018, 10. Jahrgang
ISBN: 978-3-942673-94-5

Die Chaussee von Zingst nach Prerow – Vom historischen Landweg zur modernen Landstraße
In: LandeBarth – Barther Geschichten, Band 9
Barth/Rostock 2017, 9. Jahrgang
ISBN: 978-3-942673-85-3

Linienbusse mit eigenem Namen
In: LandeBarth – Barther Geschichten, Band 8
Barth/Rostock 2016, 8. Jahrgang
ISBN: 978-3-942673-72-3

Die Bemühungen der Darßer um einen Festlandanschluss von Bliesenrade nach Fuhlendorf
In: LandeBarth – Barther Geschichten, Band 7
Barth/Rostock 2015, 7. Jahrgang
ISBN: 978-3-942673-58-7

Holzdiebstahl, Wilderei und verbotene Wege – Rechtsprechung über die Darßer Bevölkerung vor 100 Jahren
In: LandeBarth – Barther Geschichten, Band 7
Barth/Rostock 2015, 7. Jahrgang
ISBN: 978-3-942673-58-7

Historisch bedeutender Fund im Barther Stadtarchiv
In: LandeBarth – Barther Geschichten, Band 7
Barth/Rostock 2015, 7. Jahrgang
ISBN: 978-3-942673-58-7

Einsturz und Neubau der Klörbrücke zwischen Bresewitz und Pruchten 1914-1917
In: LandeBarth – Barther Geschichten, Band 6
Barth/Rostock 2014, 6. Jahrgang
ISBN: 978-3-942673-48-8

Professor Max Esser aus Barth schuf das Wisentrelief in der Schorfheide
In: LandeBarth – Barther Geschichten, Band 6
Barth/Rostock 2014, 6. Jahrgang
ISBN: 978-3-942673-48-8

Entwicklung des Postverkehrs zwischen der Stadt Barth und der Halbinsel Darß-Zingst
In: LandeBarth – Barther Geschichten, Band 6
Barth/Rostock 2014, 6. Jahrgang
ISBN: 978-3-942673-48-8

Die Strandung des Rahschoners “Ella” vor Zingst
In: LandeBarth – Barther Geschichten, Band 2
Barth/Rostock 2010 2. Jahrgang
ISBN: 978-3-942673-00-6

Barth als Ausgangspunkt der Darßbahn
In: LandeBarth – Barther Geschichten, Band 1
Barth/Rostock 2009 1. Jahrgang
ISBN: 978-3-934116-86-3

Der lange Weg zur Fischlandchaussee
In: Planen, Pflastern, Asphaltieren – 150 Jahre Straßenbauverwaltung in Mecklenburg-Vorpommern
Schwerin 2008
ISBN: 978- 3933781628

Eine Chaussee auf das Fischland sowie
Schienenwege zwischen Warnemünde und Stralsund über Fischland, Darß und Zingst – Projekte und Realisierungen vom Beginn bis 1933
In: Wege übers (Bundes-) Land – Zur Geschichte der Land-, Wasser-, Schienen- und Luftwege in Mecklenburg und Vorpommern. Band 2
Schwerin 2004
ISBN: 3-00-013736-X

75 Jahre Bezirkstonnenfest Fischland-Darß
Ein geschichtlicher Rückblick 1927-2002
Autorengemeinschaft mit Antje Hückstädt und Holger Becker
Born/Prerow 2002

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